Zufußgehen ist aus meiner Sicht die Fortbewegungsart, die bei der Stadt- und Verkehrsplanung ganz oben in der Prioritätenliste stehen sollte, noch vor dem Radfahren. Der Umbau zur „Fahrradstadt“, wie so oft propagiert, darf nicht auf Kosten der Fußgänger vonstatten gehen. Nicht zuletzt ist Zufußgehen äußerst gesund, sozial und kostengünstig. Das gilt natürlich in ähnlicher Weise für den Radverkehr, aber eben nicht für den Kfz-Verkehr. Daher habe ich vor einiger Zeit den Fußverkehr zu meinem Fokusthema im Hinblick auf Verkehrswende und nachhaltige Mobilitätsplanung allgemein gemacht und auch meine Masterarbeit im Salzburger UNIGIS-Programm in diesem Themenfeld verfasst – Titel: Crossing streets between intersections.
Analysen bestehender Netze und ihrer Parameter sowie Vorhersagen der erwarteten Nutzung geplanter oder umzugestaltender Netze funktionieren nicht ohne eine qualitativ hochwertige Datengrundlage. Für viele Anwendungsfälle sind dabei separate Kanten für jeden einzelnen Bürgersteig und für jede Straßenquerung notwendig bzw. hilfreich. Diese liegen aber oftmals nicht von offizieller Seite vor – oder es gibt detaillierte Polygondaten, die aber nur aufwändig in einen konsistenten und genauen Netzgraphen umgewandelt werden können. Dies habe ich im Eingangsteil meiner oben genannten Abschlussarbeit beleuchtet.
Allerdings lohnt hier – wie heutzutage so oft – ein fundierter Blick in das weltweit größte VGI-Projekt (Volunteered geographic information) OpenStreetMap (OSM). Dort sind in vielen Regionen der Welt bereits alle Straßen und nicht-straßenbegleitenden Wege als Linien mit zahlreichen Attributen eingetragen. Straßenbegleitende Fußwege bzw. Bürgersteige sind oftmals attributiv auf der Straßenlinie selbst eingetragen (z.B. sidewalk=both
, sidewalk=left
oder sidewalk=right
). Wo Bürgersteige als separate Linien existieren, müssen die zugehörigen Straßen korrekter Weise mit sidewalk:both=separate
, sidewalk:left=separate
und sidewalk:right=separate
getaggt sein. Die nachfolgende Karte zeigt, welche relevanten Straßen in Hamburg mindestens eines der vorgenannten Attribute aufweisen (türkis) und welche nicht (orange). In vielen Stadtteilen lässt sich also bereits gut mit Fußwegdaten arbeiten, wenn man mit den attributiven Daten auskommt und keine separaten Linien für jeden Fußweg braucht.
Benötigt man allerdings die Bürgersteige und offiziellen Querungen als separate Geometrien, sieht es in Hamburg noch deutlich unvollständiger aus (nachfolgende Grafik auf der linken Seite, separate Bürgersteige), insbesondere dann, wenn man zusätzlich auf der Straßen-Mittellinie die Information benötigt, dass separate Fußwege existieren (rechte Grafik, wobei vereinzelte zusätzliche Linien darauf hindeuten, dass der Fußweg nicht mit footway=sidewalk
getaggt wurde, denn nur das wurde für die linke Grafik abgefragt).
Ich gebe zu, dass ich für die Vollständigkeit in „meinem“ Stadtteil Eimsbüttel weitgehend selbst verantwortlich bin. Dies händisch einzutragen ist allerdings ein enormer Aufwand und Hamburg-Eimsbüttel wird wohl auf längere Sicht der einzige Fall bleiben, in dem ich das in dieser Form als „Solo-Auftritt“ getan habe. Im Übrigen gibt es weltweit bereits einige Fälle, wo die Fußwege und Querungen sehr ordentlich eingetragen sind. Aber abgesehen vom Sonderfall Berlin-Neukölln, auf dem auch die dortige Straßenraumkarte basiert und der zudem das Modellgebiet meiner Masterarbeit war, konnte ich bis zum Sommer diesen Jahres nur Paris ausmachen, wo zusätzlich das korrekt auf separate Fußwege verweisende Tag auf der Straßenlinie vorhanden war (und Buckenhof, einen östlichen Vorort von Erlangen, wo jemand schon entsprechend fleißig gewesen war). Da ich für eine weitere Arbeit an meinem Thema mehr Modellgebiete haben wollte, habe ich die Informationen auf der Straßenlinie in einigen Gebieten, z.B. im Stadtteil Frogner in Oslo, Longfellow in Minneapolis und Keilor East in Melbourne eingetragen. Aber auch das ist manuell schon ein großer Kraftakt und führte dazu, dass ich zum Kern der weiteren Bearbeitung meiner Fragestellung bisher nur in Ansätzen gekommen bin.
Nun stolperte ich wieder über das Tool SidewalKreator, ein QGIS-Plugin entwickelt von Kauê de Moraes Vestena aus Curitiba in Brasilien. Damit lassen sich aus attributiv auf der Straßenlinie vorhandenen Bürgersteig-Daten nach bestimmten Parametern Bürgersteig-Geometrien als Linien generieren, wobei viele der Parameter individuell einstellbar sind. Ich hatte es für meine Zwecke schon einmal ausprobiert, aber zunächst verworfen, da der Nachbearbeitungsbedarf hinsichtlich der vielen Unregelmäßigkeiten im Fußwegnetz weiterhin immens ist.
Dieser Beitrag von Dominik Kerl bei LinkedIn zu einer Fußweganalyse in Köln-Nippes, zur einer Studie durchgeführt für FUSS e.V., brachte mich jedoch auf die Idee, es einmal mit diesem Stadtteil der viertgrößten deutschen Stadt zu testen. Freilich ohne den Schritt der Nachbearbeitung im OpenStreetMap-Editor JOSM und den Upload der Fußweg-Geometrien in die OSM-Datenbank, denn das würde ja wiederum detaillierte Nachbearbeitung und am besten auch fundierte Ortskenntnis erfordern (und ich kenne Nippes bisher nur von der unterirdischen bzw. der tangentialen Stadtbahnlinie aus).
Zunächst war aber doch etwas Nachbearbeitung in OSM notwendig, denn das Sidewalk-Tagging fehlte noch in einigen Straßen. Dann aber konnte ich durchstarten, nach dieser schönen Anleitung des Plugin-Autors bei YouTube. Et voilà, mit wenigen Klicks ist nun ein Datensatz vorhanden, mit dem ich nun (zunächst lokal) arbeiten und z.B. realistische Angaben zu Breiten ergänzen kann. Leider sind die Querungen in Wirklichkeit nicht so vollständig vorhanden wie das Plugin mit seiner einfachen Regel annimmt – zumindest nicht die formellen. Aber das lässt sich dann mit den nächsten Schritten in JOSM nachbearbeiten, wie ebenfalls im genannten Tutorial erläutert. Die nachfolgenden Grafiken zeigen das Ergebnis.
Im Ergebnis wird nur ein Fehler mit einer zu weit geführten Querung entlang der Kempener Straße deutlich. Außerdem kann das Plugin keine Querungen hinzufügen, wenn die Bürgersteige nicht weit genug in die entsprechenden Ecken „hineinragen“. Ansonsten gibt es natürlich zahlreiche Abweichungen von der genauen Lage der Bürgersteig-Mittellinie, in der Realität nicht vorhandene formelle Querungen etc.
Das Plugin fügt übrigens auch nach vordefinierten Kriterien platzierte Bordsteinkanten mit ein, die allerdings noch keine Tags enthalten. Diese müssen dann, sofern die entsprechende Querung tatsächlich existiert, noch passend ergänzt werden (barrier=kerb
und z.B. kerb=raised
–> oje, kerb=lowered
–> es freuen sich visuell eingeschränkte Zufußgehende mit Stock oder kerb=flush
–> es freuen sich „Zufußgehende mit Rädern“). Auch die Bürgersteige und Querungen weisen noch keine neu hinzugefügten und inhaltlich für OSM relevanten Tags auf. Und die abgerundeten Ecken sind übrigens auch einstellbar. Obwohl hier ein kleinerer Radius passender gewesen wäre, habe ich es mal aus „grafischen Gründen“ bei der Vorsteinstellung belassen. Auch ansonsten habe ich die Parametrisierung fast vollständig bei den Voreinstellungen belassen, die sich sicherlich in vielen Punkten noch besser an „Nippes-Verhältnisse“ anpassen lässt.
Fazit: Mit dem Plugin kann man sich sehr schnell einen zumindest grob passenden Bürgersteig-Datensatz für ein ausgewähltes Gebiet in OSM erstellen lassen, wenn die Straßenlinien vollständig mit den nötigen Sidewalk-Tags versehen sind. Für Untersuchungen, die keinen präziseren Netzgraphen benötigen, lässt sich damit hervorragend arbeiten. In meinem Fall kann ich nun zumindest genau die Gehwegbreiten pro Straßenseite genau eintragen und die Wege ungefähr passend positioniert darstellen. Inwiefern Zeit eingespart wird, wenn tatsächlich ein realistischer Datensatz für ein Gebiet in OSM ergänzt werden soll, lässt sich ohne entsprechenden Test nicht sagen. Meine Vermutung ist, dass die Zeitersparnis leider nicht besonders groß ist. Trotzdem ein sehr nützliches und gut bis sehr gut funktionierendes Werkzeug, für das ich mich herzlich beim Autor bedanke. Wie immer gilt der Dank aber auch der so ungemein aktiven OSM-Gemeinschaft ebenso wie den vielen Menschen, die QGIS nutzen, weiterentwickeln und ergänzen!